Fanprojekt erklärt seine Entscheidung.
Am vergangenen Sonntag hätte der Nordkurvensaal des Fanprojekts beim Heimspiel des VfL Wolfsburg gegen Augsburg seit längerer Zeit öffnen dürfen. Dass der sonst so beliebte und gut besuchte Saal direkt in der Volkswagenarena geschlossen blieb, lag nicht etwa am standort-individuellen Konzept des VfL Wolfsburg oder am Hygienekonzept des städtischen Fanprojekts, sondern vielmehr am Verantwortungsbewusstsein und am Selbstverständnis der aktiven Fanszene Wolfsburg.
Den Nordkurvensaal unter aktuellen Bedingungen für 25 Fans zu öffnen kam für die Green White Angels, die Ultra-Gruppe, die die Bewirtung des Nordkurvensaales übernommen hat, nicht in Frage. „Unter den aktuellen Umständen, wo die Corona Fallzahlen wieder deutlich steigen, steigt auch das ohnehin bestehende Unverständnis der aktiven Fanszene, was die Teilzulassung von Zuschauer*innen in der Volkswagen Arena, aber auch bundesweit betrifft“, so Stephan Dube, Mitglied der Green White Angels und mitverantwortlich für die Bewirtung und Selbstverwaltung des Nordkurvensaals. „Den Nordkurvensaal mit einer Kompromisslösung zu öffnen, hat nichts mit dem Fußballerlebnis oder dem besonderen Heimspielcharakter zu tun und täuscht nur eine Art Normalität vor, die es nicht gibt und unter aktuellen Gegebenheiten auch nicht geben sollte.“
Diese Haltung akzeptiert und respektiert das Wolfsburger Fanprojekt. Dass der Fußball bzw. der Spielbesuch für viele Fanszenen in Coronazeiten nicht mehr an erster Stelle steht, aber Verantwortungsbewusstsein und Hilfsbereitschaft sichtbarer denn je sind, kann Anke Thies vom Fanprojekt Wolfsburg bestätigen. Laut Fanprojekt herrschte zu Beginn der Pandemie in den Köpfen von vielen Vertreter*innen von Vereinen und Sicherheitsorganen das Bild des pöbelnden Ultras, der sich mit Hunderten vor den Stadien und Arenen versammelt und für steigende Fallzahlen und Spielabbrüchen von Geisterspielen sorgt. Dass dies jedoch nicht der Fall war und sich Ultraszenen nicht erst seit Corona durch soziales Engagement auszeichneten, finde vielerorts noch immer wenig Beachtung. Anders in Wolfsburg, wo Stadträtin Iris Bothe und Stadtjugendpfleger Gunnar Czimczik von dem Engagement der meist jugendlichen und jungen erwachsenen Fußballfans begeistert waren, als diese zu Beginn der Pandemie die Fantafel organisierten und die Lebensmittelausgabe der Wolfsburger Tafel am Laufen hielten. Stadträtin Iris Bothe betont, dass es dem Engagement der aktiven Fanszene und der Initiative der „Weekend Brothers“ zu verdanken sei, dass durch den alternativen Tafel-Betrieb von Jugendförderung, Fanprojekt und Fanszene viele Sorgen und Nöte der Bürger*innen aufgefangen werden konnten.
Das Fanprojekt betont: Wenn nun in den kommenden Monaten die Türen des Nordkurvensaales geschlossen bleiben, dann sei das nicht als jugendlicher, unüberlegter Boykott oder Desinteresse am eigenen Verein zu verstehen, sondern zeuge vielmehr von klarer Haltung der Wolfsburger Fanszene. Die Fanszene übernimmt gesellschaftliche Verantwortung und stellt ihre eigenen Interessen bewusst zurück. „Dieser Schritt verdient Respekt und Anerkennung“, so Anke Thies vom Fanprojekt Wolfsburg.
Die Meinung der aktiven Fanszene in Wolfsburg sei kein Einzelfall, sondern ein bundesweiter Trend, der sich unter anderem auch in der Initiative „Unser Fußball“ deutlich zeige. So setze sich der bundesweite Zusammenschluss engagierter Fußballfans und Vereinsmitglieder für grundlegende Veränderungen im Fußball ein, das Fan-Bündnis „Unsere Kurve“ übe Kritik an den DFL-Plänen zur Rückkehr von Fans in die Fußballstadien. Reduzierte Ticketkontingente, Gästefanverbot, Sicherheitsabstand, personalisierte Tickets aber auch die anhaltende Pandemielage schreckten nicht nur Ultras von einem Stadionbesuch ab. Das zeigten die aktuellen Zahlen der Zuschauer*innen.
Das Fanprojekt Wolfsburg ist eine Einrichtung des Geschäftsbereichs Jugend der Stadt Wolfsburg und besteht seit 1997. Es ist eine vereinsunabhängige Einrichtung, welche eine kreative, bunte, selbstverantwortlich handelnde und fröhliche Wolfsburger Fankultur fördern möchte.
Foto: oh/Taken